Belegausgabepflicht – Erzwungener Müll und Klimaschaden

Ab dem 1.1.2020 muss bei jedem Verkauf, der über eine Ladenkasse abgewickelt wird, der Beleg für den Kunden ausgedruckt werden. Dabei ist es gleichgültig, ob der Kunde den Beleg haben will oder nicht. Der Kunde ist nicht verpflichtet, den Beleg mit zu nehmen.

Belege, die keiner will. Das sind ungewollte Belege aus 6 Stunden Verkauf.
Belege, die keiner will. Das sind ungewollte Belege aus 5 Stunden Verkauf.

Das hat Konsequenzen in der Bäckerei

  • ca. 50 x mehr Papierbedarf für Bons
  • 98 % der Kunden nehmen den Bon nicht
  • Bons müssen in den Restmüll
    • das Papier ist beschichtet
    • beschichtetes Papier darf nicht ins Altpapier
  • Bons müssen vor der Entsorgung datenschutzkonform vernichtet werden
    • Bons sind personenbezogen und enthalten zum Teil pseudonyme Daten (Kunde ist eine fortlaufende Nummer, die Rechnung eine Bestellung einer individuellen Person) und zum Teil persönliche Daten im Klartext, wie der Name des Personals, das den Bon ausgestellt hat.
    • Mit einer großen Menge Bons (z.B. aus dem Restmüll des Betriebs) kann man Betriebsdaten, Mitarbeiterdaten und Kundenverhalten rekonstruieren, bis hin zu Verhalten von Stammkunden.
    • Man benötigt neben dem normalen Aktenvernichter einen zweiten Aktenvernichter für Restmüll (und viel Zeit am Schredder)
  • Erhebliche Brandgefahr durch große Mengen lagernder, leicht brennbarer Papierbons bzw. Papierschnipsel.
  • Herstellung, Transport und Entsorgung der Belege sorgen für sinnlosen CO2-Ausstoß, vom Fällen der Bäume bis zum Verbrennen der Bons in der Müllverbrennung.
    • wird bei der Verbrennung Strom erzeugt, gilt der als Ökostrom.
  • Theke und Technik in der Bäckerei muss umgebaut und angepasst werden
    • wir benötigen einen weiteren Drucker und müssen das System anpassen lassen.
    • die Einbauorte der Drucker müssen überprüft werden
    • insbesondere der Umgang mit dem Müll, der nun beim Bedienvorgang zwangsentsteht muss geplant werden, so dass der Müll keine Gefahr für das Personal darstellt (Stolperfalle, Rutschgefahr durch  Papierschlangen auf dem Boden, etc.)
    • es gibt inzwischen spezielle Mülleimer, die so angebracht werden können, dass der Drucker direkt in den Mülleimer druckt. Leider können wir einen solchen nicht umsetzen. Auch gibt es noch keine Bondrucker, die den Bon auch gleich schreddern. (Es gibt allerdings welche, die den Bon gleich verbrennen)

Formal lässt das Gesetz zu, dass Betriebe eine Befreiung von der Belegausgabepflicht beantragen können.

Bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen können die Finanzbehörden nach § 148 aus Zumutbarkeitsgründen nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Belegausgabepflicht nach Satz 1 befreien.

Das Finanzamt hat uns das bisher verwehrt und gibt uns schriftlich an, die Behörden müssten sich erst noch bundesweit zum Umgang mit diesem Gesetz aus 2016 abstimmen.

Belege, die keiner will. Auch wenn man nur eine Brezel kauft, muss ein Stück Baum sterben.
Belege, die keiner will. Auch wenn man nur eine Brezel kauft, muss ein Stück Baum sterben.

Kundenmeinung

Wir haben diesen Samstag beispielhaft die Verordnung umgesetzt und dabei einen großen Haufen Müll vor der Theke erzeugt. Über 350 Kunden haben bei einer Unterschriftensammlung innerhalb weniger Stunden, ihren Protest geäußert und uns gebeten, für sie die ungewollten Kassenbons bei den für den Zustand verantwortlichen Politikern regelmäßig abzugeben. Nur 7 der angesprochen Kunden haben nicht unterschrieben, darunter ein Finanzbeamter, der nicht gegen seinen Arbeitgeber votieren wollte.

Diese Ablehnung übertrifft noch die Quote einer Umfrage im Internet. Dort haben sich 90 % der Umfrageteilnehmer dafür ausgesprochen, dass der Laden als Dienstleistung für den Kunden die Kassenbons regelmäßig bei der Politik ab gibt.

Die Politik

Wir haben dankbarerweise kurzfristig einen Termin bei unserem direkt gewählten Bundestagsabgeordneten, Norbert Barthle (CDU), erhalten und konnten mit ihm sprechen. Mit im Gepäck die 350 Unterschriften und einen inzwischen etwas zusammengedatschten Papierberg mit den ungewollt gedruckten Kassenbons.

Obwohl Herr Barthle mit seiner Fraktion das Gesetz 2016 mit verabschiedet hat und die Presse in den letzten Wochen stark über das Thema berichtet, war ihm die Problematik nicht bekannt.

Eine Kiste voll mit ungewollten Kassenzetteln
Jürgen Stemke, Norbert Barthle MdB, Bäckermeister Frank Stemke. Foto: Susanne Barthle

Herr Barthle versprach uns, einen Mitarbeiter unmittelbar auf das Problem anzusetzen. Einmal solle dieser prüfen, wie das Gesetz gemeint war, was der Sinn dahinter sei und warum es nun zu  so einem Problem komme, dass er so auch nicht nachvollziehen kann.

Als mögliche temporäre Lösung haben wir angeregt, dass der Bund das Gesetz zunächst aussetzen könnte, bis (auch bei den Behörden) Klarheit über das Vorgehen und die Art der Anwendung herrsche. Auch dem möchte Herr Barthle nach gehen.

Bei einem anderen Teil dieser Gesetzesänderung ist man bereits so verfahren. So schreibt das Gesetz vor, dass Kassen ab dem 1.1.2020 fälschungssicher sein müssen. Da die Industrie solche Kassen derzeit nicht liefern kann, wurde dieser Teil des Gesetzes bereits vorläufig ausgesetzt.

Fazit

Die Unsicherheit bleibt. Die Verärgerung auch. In unserem Geschäft haben sich zahlreiche Kunden lautstark über diese erzwungene Umweltverschmutzung beschwert, die dem Klimaschutz entgegen läuft. Die aktuelle Politik sei nicht mehr normal, so der Tenor der Gmünder, die noch beim Bäcker kaufen.

Am Montag versuchen wir, ein Gespräch mit dem Finanzamt zu führen.

Update Montag: Die zuständige Abteilungsleiterin des Finanzamts Schwäbisch Gmünd versteht die Brisanz. Ihr seien allerdings zunächst von oberster Bundesstelle (Karlsruhe) die Hände gebunden. Bis Mittwoch sollen einige Abstimmungsrunden laufen. Sie möchte uns auf jeden Fall am Donnerstag Nachmittag anrufen, um den Stand der Dinge zu berichten.

Update 2 Montag: Herr Weltz, vom Bürgerreferat des Finanzministeriums, gab an, sie würden die Pakete dann zurück schicken, mit der Bitte, sie dann an das Ministerium in BaWü zu schicken, weil das zuständig sei, auch wenn es ein Bundesgesetz ist.

Außerdem gibt das Ministerium an, dass kein Müll produziert würde. Es handele sich um Dokumente.

Update 3 Montag: Das Büro unseres Bundestagsabgeordneten Christian Lange (SPD) hat sich gemeldet und Informationen nachgefragt. Auch hier wolle man sich kümmern, da die Sache ja etwas eilig scheine. Insbesondere interessierte sich das Büro für die Begründung der Ablehnung der Befreiung durch das Finanzamt.

Update 4 Montag: Kunden haben von unserer Aktion gehört und wollten von sich auch auch unterschreiben. So haben wir inzwischen über 400 Unterschriften.

Update 5 Montag: In der FAQ der Homepage des Bundesfinanzministeriums kann man erfahren: Wer der Bonausgabepflicht nicht nach kommt, wird deswegen nicht sanktioniert. Man bleibt also straffrei.

Update 6 Dienstag: Frau Mohrmann vom Finanzministerium sagt, dass ein Zwangsgeld in einer Höhe bis zu 25.000 Euro angedroht werden kann, wenn man der Belegausgabepflicht nicht nach kommt. Das widerspricht der FAQ des Ministeriums.

Update 7 Dienstag: Altmaier: Die Belegabgabepflicht für Bäcker soll abgeschafft werden. Dies war der Tenor auf der heutigen CDU-Bundestagsfraktionssitzung, nachdem Norbert Barthle das Thema auf den Tisch gebracht hat.

Danke an alle, die sich in den letzten Tagen und Wochen für das Thema stark gemacht haben!

Update 8 Donnerstag: Nachdem die Union die Belegausgabepflicht kippen will, meldet sich die neue SPD-Spitze. Walter-Borjans will die Belege gedruckt haben.

Also haben wir in seinem neuen Vorstandsbüro angerufen. Ich habe selten einen unfreundlicheren Gesprächspartner am Telefon gehabt. Man wusste vom Thema gar nichts. Man wollte auch nichts davon wissen. Man hat uns mit jedem Satz an unseren Bundestagsabgeordneten verwiesen.

Der Mitarbeiter des Büros wollte uns auch weder seinen Namen nennen, noch eine Adresse, an die wir im Auftrag unserer Kunden ungewollte Bons schicken können, die Walter-Borjans gerne gedruckt haben will.

Wir haben daraufhin mit dem Büro von Christian Lange, MdB SPD gesprochen. Man hat sich vielfach für das Verhalten des Vorstandsbüros entschuldigt. Leider gibt es hier frühestens ab Montag einen neuen Status. Die Adresse sei aber das Willy-Brandt-Haus.

Inzwischen wurde uns auch zugetragen, dass der Landesverband NRW ebenfalls die Bäcker ermutigen will, die ungewollten Bons an die Politik zu senden. Da können sich Leute aber über richtig Post freuen.

Update 9 Donnerstag: Wir haben Landesbeauftragten für den Datenschutz in Stuttgart angerufen, um uns zu versichern, dass wir die Kassenzettel schreddern müssen, bevor sie im Restmüll landen oder bei einem Politiker. Die Antwort ist eindeutig:

Ja, Kassenbons müssen vor dem Entsorgen geschreddert werden. Mindestens mit einem Schredder der Klasse P3, besser P4 oder besser. Es handelt sich um Dokumente mit personenbezogenen Daten.

Unsere eigene Bewertung zum Datenschutz ist damit zu 100% bestätigt.

Die Dame vom Datenschutz – die unsere Bäckerei kennt – hat aber noch eine ganz andere Frage aufgeworfen. Sie fragt sich, welche Gedanken sich der Gesetzgeber beim Verabschieden dieses Gesetzes zum Thema Datenschutz gemacht hat. Als betroffener Bürger (wenn ich im Verkauf bin, steht mein Name auf dem Bon), habe ich natürlich sofort nachgefragt. Dieser Frage geht sie jetzt nach. Das wird aber etwas dauern.

Update 10 Freitag: Ein Bäcker aus Berlin weist uns auf die erhöhte Brandgefährdung hin. – Die Berliner haben ja mit Brandschutz Erfahrung, die Stuttgarter wird es da ja erst noch erwischen, wenn die neue Haltestelle Stuttgart, die den Hauptbahnhof ersetzen soll, so weit ist. – Der Berliner schreibt, die Brandlasten für Entstehungsbrände seien gigantisch.

  • Es müssen selbstlöschende Abfallsammler installiert werden
  • Sie dürfen in keinem Fall in oder an Rettungswegen stehen
  • Der „Müll“ muss in angemessenen Abständen in feuerfeste Behältnisse mit dicht schließendem Deckel verbracht werden
  • Mülltonnen müssen sich 5 Meter vom Haus entfernt befinden

All diese Punkte wären in unserem historischen Fachwerkhaus nicht umsetzbar. Die Feuerwehr Schwäbisch Gmünd war heute zu keiner Stellungnahme bereit. Wir sollen uns ab Montag an den Kommandanten, Herrn Schubert wenden.

Ebenso stellt sich die Frage nach der Brandgefahr im Mülllaster. Immer wieder liest man von Berichten, bei denen sich Müll im Fahrzeug entzündet hat.

Links

 

Ein sinnloser Papierberg
Ein sinnloser Papierberg. Hier sehen wir 3 verschwendete Kassenrollen nach 5 Stunden Verkauf